Donnerstag, 17. Februar 2011

"Pity-trippers"

Dieser Artikel in The Australian ist so großartig, dass ich mich genötigt fühle ein paar Passagen zu übersetzen.

Das ist eher eine Sache des Mitleids, denn der Solidarität. Westliche junge Menschen aus der Mittelklasse machen palästinensische Mitleidsferien in der Westbank und in Gaza. Sie tauchen einfach auf und bewundern die Würde dieser schönen, belagerten Menschen, wie die Frauen viktorianischer Kolonialisten, die jene afrikanischen Stämme, die christianisiert werden sollten, irgendwie mochten. „Ich habe nie Menschen wie die Palästinenser getroffen. Das sind die stärksten Menschen, die ich je getroffen habe,“ schießt es aus der britischen Friedensaktivistin Kate Burton heraus, die Schlagzeilen gemacht hat, als sie im Jahre 2006 von einer palästinensischen Gruppe in Gaza entführt wurde.

Natürlich haben Westler immer moralische Abenteuer im Drüben geliebt, ob als Missionare oder als Revolutionäre. Der Unterschied zum palästinensischen Mitleidstourismus ist, dass sie weder die Palästinenser zu einer Religion bekehren wollen, noch zum Waffengang schreiten – vielmehr wollen sie einfach zum Mitfühlen kommen, sich hineinversetzen in die ultimative Erfahrung des Opferseins. Ein pity-tripper [der Ausdruck ist so gut, dass ich ihn so stehen lasse] hat im New Statesman über ihre Erfahrung geschrieben in Betlehem „unter Belagerung“ zu leben. „Ich beginne zu verstehen wie es sein muss ein Palästinenser zu sein“, sagte sie.

Das ist das letztendliche Ziele dieser Empathiefahrten, eine Erfahrung zu machen, die sie das Opfersein real werden lässt, dem sich diese westlichen Aktivisten verpflichtet fühlen. Wo einige gelangweilte westliche Jugendliche, die von ihren Alltag gelangweilt sind auf Bungee-Jumping Reisen nach Peru fahren, fühlen sich westliche Linke, die Politik zu Hause fühlen (?) genötigt auf Panzer-Stopper Reisen in Palästina zu gehen.





Samstag, 12. Februar 2011

Was ist jetzt mit türkischer Demokratie?

Das islamistische Abenteuer der Erdogan-Regierung in der Türkei geht weiter. 162 türkische Offiziere sitzen auf der Anklagebank wegen einer angeblichen Verschwörung gegen die türkische Regierung aus dem Jahre 2003.



In meinem Artikel für die Atlantic Community habe ich die These vertreten, dass die AKP-geführte Regierung Desäkularisierungsbestrebungen verfolgt (und daher über lang seine Westoriertierung in wichtigen außenpolitischen Fragen aufgeben wird bzw. schon auf dem besten Weg dahin ist).

In September 2010, the Turkish government lead by the Justice and Development Party (AKP) won a national plebiscite on constitutional amendments that was in fact designed to remove obstacles to its gaining further power. These amendments attack judicial independence by giving the government control over judicial appointments. The secular independent judiciary has been a stumbling block against the AK party's Islamist ambitions.

Erdogan ist seit langem daran am Arbeiten die Armee von säkularen Kräften zu befreien und durch ihm gewogene Offiziere zu ersetzen. Dieser Prozess könnte ein weiterer Schritt in diesem Bestreben sein. Die Anklagepunkte gegen die Akteure der "Operation Sledgehammer" sind möglicherweise gefälscht. Aufmerksamen Beobachtern sollte dieser Prozess zeigen, was wir von Islamisten in einer Demokratie zu erwarten haben. Aber in den einschlägigen westlichen Medien wird die Erdogan-Regierung als "moderat" verkauft und die Leistungen für die türkische Demokratie werden betont. Was ist jetzt mit türkischer Demokratie?

Die Vorhersage von Daniel Pipes könnte sich als tragfähig erweisen:

Lange, nachdem Khomeini und Osama bin Laden vergessen sein werden, sage ich mit aller Vorsicht, wird man sich an Recep Tayyip Erdoğan und seiner Kollegen als den Erfindern einer dauerhafteren und tückischeren Form des Islamismus erinnern.

Nachtrag: Mein Kommentar auf "The Propagandist".

Donnerstag, 10. Februar 2011

Zwischen Monroe und Mao

Und nochmal eine meiner alten Filmkritiken "Maradona by Kusturica" für "The Propagandist" ganz im Sinne westlicher Propaganda neu aufbereitet.



„Wenn Warhol noch leben würde, hätte er Maradona zwischen Marilyn Monroe und Mao Tse-Tung porträtiert.“ (Emir Kusturica)

Mittwoch, 9. Februar 2011

"I love America. America gave me wings."

"I love America. America gave me wings." (Dieter Dengler)

Meine Filmkritik zu dem großartigen Film "Rescue Dawn" von Werner Herzog auf "The Propagandist".

Hier eine ältere Version auf Deutsch, die ich im Februar 2010 geschrieben habe.

Dengler hat den Traum zu fliegen, seit sein Heimatdorf im 2. Weltkrieg von alliierten Kampffliegern bombardiert wurde. Amerika habe ihm diesen Traum ermöglicht, aus diesem Grund liebe er sein Land, weswegen er keine Propagandabriefe der Nordvietnamesen unterzeichnet, die ihm für seine Unterschrift die Freiheit versprechen.
Im deutschsprachigen Raum werden Werner Herzogs Werke seit seinen Filmen mit seinem "liebsten Feind" Klaus Kinski ("Fitzcarraldo", "Nosferatu - Das Phantom der Nacht", "Aguirre - Der Zorn Gottes", "Cobra Verde") leider kaum noch geschätzt. Dabei gilt er besonders in Frankreich und den USA als Meisterregisseur. Seine letzten Filme, die ich gesehen habe, sind "Encounters At The End Of The World" und "Bad Lieutnant" - beides absolut grandiose Werke, die den Visionär auf der Höhe seiner Schaffenskraft zeigen.





Dienstag, 8. Februar 2011

Iranium - zurück zum Stand der iranischen Revolution

Ein großartiger Film über die Gefahr, die vom Verbrecherregime im Iran und deren Atomprogramm ausgeht. Auch wenn das angeschnitten wird, hätte man der iranischen Protestbewegung mehr Raum geben können, wie ich finde.



Letztes Jahr im Oktober habe ich in einem Op-ed paper contest dafür gestritten das iranische Regime politisch und ökonomisch zu isolieren. Zwischendurch habe ich mir Gedanken gemacht, ob meine Formulierungen wissenschaftlich-analytisch akkurat waren, aber wer den Film sieht wird mein Argument verstehen, dass man das Kind beim Namen nennen sollte.

Formulated in concrete measures, the key to solving the problems of armed conflicts, anti-Semitism, and radical Islamism are the freedom-loving forces in the region. At first this is the peaceful, democratic and secular movement in Iran. Western politicians could be courageous. They should invite representatives of this group to discuss. They should mention the brave Iranian people protesting in the streets in their speeches. They should show that these people are the ones who can be the protagonists of a new peaceful world order.

Meine Kontrahenten haben in der Mehrheit in diesem Wettbewerb überhaupt nicht die Begriffe "Hamas", "Hisbollah", "Terrorismus" und "Green Movement" aufgeworfen. Wie sollen sie auch, wenn sie schon von vornherein feststeht, dass eine Verhandlungsstrategie Erfolg haben soll. Dann muss man die "crucial points" einfach mal "for the sake of the argument" außen vorlassen - dann ist das aber eben keine realistische Analyse. Habe in dieser Debatte vor allem gelernt, wie man diesen Irrsinn von "kritischem Dialog" ganz sophisticated akademisieren kann (Stichwort: "concrete reciprocity").


Diese Demokratisierungseuphorie, die wir nun im Zuge der Prosteste in Tunesien und Ägypten gesehen haben, ist zu dem Zeitpunkt anscheinend leider noch nicht in der akademischen Welt angekommen. Höchste Zeit sich nochmal die Situation im Iran zu vergegenwärtigen angesichts des nuklearen Zeitfensters. In dem Sinne sollten sich diejenigen, die beim Iran ganz realistisch gewesen sind ("Wir haben ja nunmal nur dieses eine Regime" wurde mir in der Debatte entgegengehalten und als "Realismus" verkauft), nochmal unsere Argumentation in Erinnerung rufen und helfen die iranische Revolution zu einem erfolgreichen Ende zu führen.

Montag, 7. Februar 2011

Interview mit Maikel auf "The Propagandist"

Interview With An Egyptian Protester

"Revolutions change the beliefs of the people. In the 1919 revolution female demonstrators were wearing the niqab, but after a few months they took off their Niqab for the first time in centuries. There are lots of secular slogans in El-Tahrir. There is no separation between sexes (and this is against beliefs of Islamists). This is the reason why I believe we are heading toward a liberal secular democracy."

Diese Seite hat überhaupt einen sehr guten Humor und eine unterstützenswerte Agenda. Daher wird man da möglicherweise öfters Beiträge von mir lesen können.

"Revolutionen verändern die Menschen" Interview mit Maikel Nabil Sanad

Maikel Nabil Sanad ist ein politischer Aktivist in Ägypten, der sich als liberal und säkular bezeichnet. Eine kurze Biographie findet sich hier. Aus moralischen Gründen hat er den Wehrdienst verweigert und bezeichnet sich als pro-israelisch.

Maikel, du wurdest gerade vom ägyptischen Geheimdienst entlassen. Was haben sie mit dir gemacht und wie geht es dir jetzt?

Sie haben mich unter Arrest gestellt als ich gerade auf dem Weg zum El-Tahir-Platz war. Sie sagten mir, sie werden Jeden davon abhalten dorthin zu gehen, um die Demonstrationen zu beenden. Sie haben mich in einem Militärjeep mit der Nummer 440700 mitgenommen. Schon während der Fahrt schlug der Offizier in dem Jeep auf mich ein. Anschließend nahmen sie mich in das Geheimdienstbüro bei Rabaa El-Adawya in Nasr City. Dort schlugen sie mich weiter und haben mich sexuell schikaniert. Ich habe die die ganze Zeit Schreie von Menschen gehört, die gefoltert wurden. Es waren die schlimmsten Tage meines Lebens.

Es ist nicht das erste Mal, dass du in Schwierigkeiten mit dem Staatsapparat geraten bist. Erzähl uns, warum die ägyptischen Sicherheitskräfte immer wieder aggressiv gegen dich vorgehen.

Politische Aktivisten werden täglich in Ägypten unter Arrest gestellt. In einem diktatorisch regierten Land ist das normal. Ich wurde immer wieder für meine politischen Aktivitäten inhaftiert, außer als ich letzten November wegen meiner Wehrdienstverweigerung inhaftiert wurde. (Maikel ist der erste bewusste Verweigerer aus moralischen Gründen)

Wie ist die ägyptische Revolutionsbewegung ins Leben gerufen worden und seit wann bist du involviert? Was für eine Rolle spielte die tunesische Revolution und warum sehen wir die Aufstände in Ägypten jetzt und nicht als die Iraner 2009 protestiert haben?

Wir arbeiten seit 2004 auf diesen Moment hin, aber üblicherweise erreichen wir nicht die Größe, um die Polizei konfrontieren zu können. Dieses Mal haben wir eine größere Kampagne ins Leben gerufen und viele Menschen haben sich uns angeschlossen. Als wir am 25. Januar losgezogen sind hat uns natürlich die Tunesische Revolution inspiriert. Die Iraner haben es nicht geschafft Ahmadinedschad zu stürzen, die Tunesier haben Ben Ali erfolgreich gezwungen abzudanken – dieser Erfolg hat uns Hoffnung gegeben, dass wir auch erfolgreich sein können. Aber solche Fragen sind nie so sicher zu beantworten, in der Politik gibt es immer wieder Überraschungsmomente.

In den westlichen Staaten, besonders in Israel, ist man besorgt, dass die Muslimbruderschaft die Proteste zu ihren politischen Zielen nutzen könnte. Wir haben immer noch die Iranische Revolution 1979 in den Köpfen, als linke und säkulare Kräfte den Protest angeführt haben, aber Ayatollah Khomenei als Protestführer vertraut haben. Nach ihrer Übernahme haben die Islamisten die Opposition durch Massenhinrichtungen und Säuberungskampagnen ausgeschaltet und am Ende einen Gottesstaat errichtet. Hamed Abdel-Samad, ein ägyptischer Intellektueller, der in Deutschland lebt, hat an den Protestzügen in Ägypten teilgenommen und ist sich sicher, dass die junge Generation die Proteste anführen und die Islamisten marginalisieren kann. Wir sehen aber die Muslimbruderschaft als die stärkste und am besten organisierte politische Oppositionsbewegung mit einer Graswurzelbewegung und hohem Einfluss auf die Gesellschaft, während die liberalen und säkularen Kräfte schlecht organisiert sind und keinen großen Rückhalt in der Bevölkerung haben. Wie begründet sind unsere Ängste vor der Muslimbruderschaft?

Revolutionen verändern die Menschen. In der Revolution von 1919 haben die weiblichen Demonstranten den Schleier* getragen, aber nach einigen Monaten haben sie das erste Mal nach Jahrhunderten den Schleier abgelegt. Es fallen viele säkulare Slogans auf dem El-Tahir-Platz. Es gibt keine Geschlechtertrennung, wie es die Islamisten gerne hätten. Aus diesen Gründen glaube ich, dass wir auf eine liberale, säkulare Demokratie zulaufen. Warum redet jeder über die iranische Revolution von 1979 und vergisst die säkulare Revolution von 2009? Wir sind im Jahre 2011, nicht 1979. Die Islamisten verlieren überall in der Welt an Zulauf. Diktatoren wie Mubarak unterstützen, wie es die Welt getan hat, macht die Islamisten nur stärker. Demokratien sind nicht das Umfeld für islamische Bewegungen, sondern Diktaturen. Ich bin mir sicher, wenn diese Revolution erfolgreich ist, dann haben wir liberale und konservative Parteien, keine theokratischen.

(* auf English sprach Maikel von "Niqab", das ist ein Gesichtsschleier - insofern ist der "Schleier" im Deutschen von mir etwas unglücklich übersetzt worden.)

Ein israelischer Bekannter hat mir gesagt, er sieht die Aufstände in Ägypten mit zwei Herzen. In dem einen empfindet er tiefe Sympathie für den Aufmarsch der Menschen für Freiheit und gegen autokratische Herrschaft. In dem anderen hat er Angst vor einem islamistisch beeinflussten Nachbarstaat, wo Israels Feinde erstarken können. Wie würdest du die Israelis überzeugen, dass die Ägypter die anti-israelischen Kräfte davon abhalten können den Friedensvertrag aufzukündigen oder Hamas und Hisbollah größeren Spielraum zu gewähren?

Ein paar Minuten vor meiner Festnahme habe ich den Israelis eine Botschaft gesendet. Wenn die Israelis Mubarak unterstützen, dann werden die Ägypter den Muslimbrüdern glauben, dass Israel der Feind ist. Wenn sie die Revolution unterstützen, dann werden sie den Liberalen glauben, die jeden Tag sagen, dass Israel ein Freund ist. Was die israelischen Politiker also derzeit aus Dummheit machen, ist den Muslimbrüdern zu helfen an die Macht zu kommen. Aber ich glaube wir haben noch Zeit, die Menschen hier wollen immer noch Frieden mit Israel – ich hoffe das ändert sich nicht wegen den dummen Handlungen der israelischen Politiker.

Zur Hölle mit Muhammed Badi*, keiner hört auf ihn!

(*Oberster Führer der Muslimbruderschaft, der zum Jihad gegen Amerika und Krieg gegen Israel ausgerufen hat)

Als die Aktivisten der Muslimbrüder islamische Parolen auf dem El-Tahir-Platz gerufen haben wurden sie von den Demonstranten geschlagen.

Wie können die westlichen Staaten die Opposition unterstützen?

Als Erstes müssen sie aufhören Waffen an Ägypten zu verkaufen – diese Waffen werden gegen Zivilisten eingesetzt. Weiterhin sollten sie alle Militärhilfe an Ägypten aussetzen und die ägyptischen Botschafter aus ihren Ländern ausweisen. Der [UN] Sicherheitsrat sollte eine Forderung an die ägyptische Armee schicken keine Zivilisten anzugreifen. Die Vereinten Nationen sollten die ägyptischen Offiziellen von Mubarak isolieren, die ihre Legitmität verloren haben, bis es freie Wahlen in Ägypten gibt.

Sag uns, was die beste Lösung für Ägypten ist in nächster Zeit.

Mubarak sollte das Land verlassen. Dann werden wir mit den politischen Autoritäten diskutieren um freie Wahlen abzuhalten und neue politische Führer einzusetzen.

(Stand: 7.2.2011, Update 8.2.2011 14:47, Übersetzung aus dem Englischen N.A.)

Sonntag, 6. Februar 2011

Über Tanz der Lemminge

Mit Tumblr bin ich nicht zurecht gekommen, hier kann man noch meine alten Posts nachlesen.

Der Name für meinen Blog sollte vor allem nicht bedeutungsschwanger sein, sondern eher ein dehnbares, willkürlich verwendbares, immer wieder als Leitmotiv heranziehbares Bild liefern.

Tanz der Lemminge ist der Name eines Albums der deutschen Krautrock-Formation Amon Düül II.





Was für ein Bild kommt euch bei einem Tanz der Lemminge? Mein erstes Bild ist Kim-Jong Il, Massenaufmärsche, Propaganda, "das ständige Wiederholen montoner Schlagworte bis alles Schaum vorm Munde hat" (Thomas Mann).



Aber ich denke auch an politisch korrekten Jargon, an Meinungsuniformismus, an nichtssagende Phrasendrescherei, Opportunismus - für den politischen Bereich, dem ich mich ja vornehmend widmen werde, ein strapazierbares Bild demnach.

Die Inhalte dieses Blogs sollen keine sich wertneutral gebenden Analysen sein, von denen man den akademischen Staub runterwischen möchte - dennoch ist mein Maßstab das gute Argument und die vernunftsgemäße Begründung. Ein gutes, wohlgeformtes Argument spricht mein ästhetisches Empfinden an - dennoch ist keine wertneutrale und nicht-theoriegeladene Erfahrung möglich; dem Rechnung zu tragen heißt aus meiner Sicht die Meinungsgeladenheit meiner Beiträge zu betonen.