Montag, 7. Februar 2011

"Revolutionen verändern die Menschen" Interview mit Maikel Nabil Sanad

Maikel Nabil Sanad ist ein politischer Aktivist in Ägypten, der sich als liberal und säkular bezeichnet. Eine kurze Biographie findet sich hier. Aus moralischen Gründen hat er den Wehrdienst verweigert und bezeichnet sich als pro-israelisch.

Maikel, du wurdest gerade vom ägyptischen Geheimdienst entlassen. Was haben sie mit dir gemacht und wie geht es dir jetzt?

Sie haben mich unter Arrest gestellt als ich gerade auf dem Weg zum El-Tahir-Platz war. Sie sagten mir, sie werden Jeden davon abhalten dorthin zu gehen, um die Demonstrationen zu beenden. Sie haben mich in einem Militärjeep mit der Nummer 440700 mitgenommen. Schon während der Fahrt schlug der Offizier in dem Jeep auf mich ein. Anschließend nahmen sie mich in das Geheimdienstbüro bei Rabaa El-Adawya in Nasr City. Dort schlugen sie mich weiter und haben mich sexuell schikaniert. Ich habe die die ganze Zeit Schreie von Menschen gehört, die gefoltert wurden. Es waren die schlimmsten Tage meines Lebens.

Es ist nicht das erste Mal, dass du in Schwierigkeiten mit dem Staatsapparat geraten bist. Erzähl uns, warum die ägyptischen Sicherheitskräfte immer wieder aggressiv gegen dich vorgehen.

Politische Aktivisten werden täglich in Ägypten unter Arrest gestellt. In einem diktatorisch regierten Land ist das normal. Ich wurde immer wieder für meine politischen Aktivitäten inhaftiert, außer als ich letzten November wegen meiner Wehrdienstverweigerung inhaftiert wurde. (Maikel ist der erste bewusste Verweigerer aus moralischen Gründen)

Wie ist die ägyptische Revolutionsbewegung ins Leben gerufen worden und seit wann bist du involviert? Was für eine Rolle spielte die tunesische Revolution und warum sehen wir die Aufstände in Ägypten jetzt und nicht als die Iraner 2009 protestiert haben?

Wir arbeiten seit 2004 auf diesen Moment hin, aber üblicherweise erreichen wir nicht die Größe, um die Polizei konfrontieren zu können. Dieses Mal haben wir eine größere Kampagne ins Leben gerufen und viele Menschen haben sich uns angeschlossen. Als wir am 25. Januar losgezogen sind hat uns natürlich die Tunesische Revolution inspiriert. Die Iraner haben es nicht geschafft Ahmadinedschad zu stürzen, die Tunesier haben Ben Ali erfolgreich gezwungen abzudanken – dieser Erfolg hat uns Hoffnung gegeben, dass wir auch erfolgreich sein können. Aber solche Fragen sind nie so sicher zu beantworten, in der Politik gibt es immer wieder Überraschungsmomente.

In den westlichen Staaten, besonders in Israel, ist man besorgt, dass die Muslimbruderschaft die Proteste zu ihren politischen Zielen nutzen könnte. Wir haben immer noch die Iranische Revolution 1979 in den Köpfen, als linke und säkulare Kräfte den Protest angeführt haben, aber Ayatollah Khomenei als Protestführer vertraut haben. Nach ihrer Übernahme haben die Islamisten die Opposition durch Massenhinrichtungen und Säuberungskampagnen ausgeschaltet und am Ende einen Gottesstaat errichtet. Hamed Abdel-Samad, ein ägyptischer Intellektueller, der in Deutschland lebt, hat an den Protestzügen in Ägypten teilgenommen und ist sich sicher, dass die junge Generation die Proteste anführen und die Islamisten marginalisieren kann. Wir sehen aber die Muslimbruderschaft als die stärkste und am besten organisierte politische Oppositionsbewegung mit einer Graswurzelbewegung und hohem Einfluss auf die Gesellschaft, während die liberalen und säkularen Kräfte schlecht organisiert sind und keinen großen Rückhalt in der Bevölkerung haben. Wie begründet sind unsere Ängste vor der Muslimbruderschaft?

Revolutionen verändern die Menschen. In der Revolution von 1919 haben die weiblichen Demonstranten den Schleier* getragen, aber nach einigen Monaten haben sie das erste Mal nach Jahrhunderten den Schleier abgelegt. Es fallen viele säkulare Slogans auf dem El-Tahir-Platz. Es gibt keine Geschlechtertrennung, wie es die Islamisten gerne hätten. Aus diesen Gründen glaube ich, dass wir auf eine liberale, säkulare Demokratie zulaufen. Warum redet jeder über die iranische Revolution von 1979 und vergisst die säkulare Revolution von 2009? Wir sind im Jahre 2011, nicht 1979. Die Islamisten verlieren überall in der Welt an Zulauf. Diktatoren wie Mubarak unterstützen, wie es die Welt getan hat, macht die Islamisten nur stärker. Demokratien sind nicht das Umfeld für islamische Bewegungen, sondern Diktaturen. Ich bin mir sicher, wenn diese Revolution erfolgreich ist, dann haben wir liberale und konservative Parteien, keine theokratischen.

(* auf English sprach Maikel von "Niqab", das ist ein Gesichtsschleier - insofern ist der "Schleier" im Deutschen von mir etwas unglücklich übersetzt worden.)

Ein israelischer Bekannter hat mir gesagt, er sieht die Aufstände in Ägypten mit zwei Herzen. In dem einen empfindet er tiefe Sympathie für den Aufmarsch der Menschen für Freiheit und gegen autokratische Herrschaft. In dem anderen hat er Angst vor einem islamistisch beeinflussten Nachbarstaat, wo Israels Feinde erstarken können. Wie würdest du die Israelis überzeugen, dass die Ägypter die anti-israelischen Kräfte davon abhalten können den Friedensvertrag aufzukündigen oder Hamas und Hisbollah größeren Spielraum zu gewähren?

Ein paar Minuten vor meiner Festnahme habe ich den Israelis eine Botschaft gesendet. Wenn die Israelis Mubarak unterstützen, dann werden die Ägypter den Muslimbrüdern glauben, dass Israel der Feind ist. Wenn sie die Revolution unterstützen, dann werden sie den Liberalen glauben, die jeden Tag sagen, dass Israel ein Freund ist. Was die israelischen Politiker also derzeit aus Dummheit machen, ist den Muslimbrüdern zu helfen an die Macht zu kommen. Aber ich glaube wir haben noch Zeit, die Menschen hier wollen immer noch Frieden mit Israel – ich hoffe das ändert sich nicht wegen den dummen Handlungen der israelischen Politiker.

Zur Hölle mit Muhammed Badi*, keiner hört auf ihn!

(*Oberster Führer der Muslimbruderschaft, der zum Jihad gegen Amerika und Krieg gegen Israel ausgerufen hat)

Als die Aktivisten der Muslimbrüder islamische Parolen auf dem El-Tahir-Platz gerufen haben wurden sie von den Demonstranten geschlagen.

Wie können die westlichen Staaten die Opposition unterstützen?

Als Erstes müssen sie aufhören Waffen an Ägypten zu verkaufen – diese Waffen werden gegen Zivilisten eingesetzt. Weiterhin sollten sie alle Militärhilfe an Ägypten aussetzen und die ägyptischen Botschafter aus ihren Ländern ausweisen. Der [UN] Sicherheitsrat sollte eine Forderung an die ägyptische Armee schicken keine Zivilisten anzugreifen. Die Vereinten Nationen sollten die ägyptischen Offiziellen von Mubarak isolieren, die ihre Legitmität verloren haben, bis es freie Wahlen in Ägypten gibt.

Sag uns, was die beste Lösung für Ägypten ist in nächster Zeit.

Mubarak sollte das Land verlassen. Dann werden wir mit den politischen Autoritäten diskutieren um freie Wahlen abzuhalten und neue politische Führer einzusetzen.

(Stand: 7.2.2011, Update 8.2.2011 14:47, Übersetzung aus dem Englischen N.A.)

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