In meinen früheren Beiträgen habe ich eine sehr simplifizierende These vertreten, in der ich Säkularismus und Islam in der Türkei unberechtigterweise als Antagonismen gegenübergestellt habe. Das machen Autoren im Middle East Forum auch und ich zu meiner Verteidigung würde ich Folgendes sagen: ich habe nie behauptet, dass ich Türkeiexperte bin. Meine Initiative schließt an die Vorgänge rund um die Gaza-Flotilla an, im Zuge derer gewisse Verbindungen der türkischen Regierung zu Hamas-nahen IHH (eine islamistische "Hilfsorganisation" aus der Türkei) offensichtlich geworden und Premierminister Recep Tayyip Erdogan mit offensiver antiisraelischer Rheorik aufgeboten hat. Wenn in der MENA-Region ein machthungriger großer Anführer ins Horn zur Attacke gegen Israel bläst und damit die arabische Welt hinter sich bringen will, müssen sämtliche Alarmglocken klingeln. Der ideologische Hintergrund von Islamismus und Israelfeindschaft ist in der Rhetorik von Erdogan nur allzu offensichtlich und vorher hatte die Türkei lange Zeit hervorragende Beziehungen zu Israel. Das Erklärungsmodel liegt also zunächst erstmal auf der Hand und die Beobachtungen, die ich gemacht habe, sehe ich nach wie vor als valide an.
Bildnis eines Januskopfs
Nichtsdestotrotz kann man Säkulare (was im türkischen mit "laik" bezeichnet wird und nicht ganz dasselbe meint) und Religiöse nicht einfach gegenüberstellen. Es gibt viele Unterströmungen des republikanischen Kemalismus rund um die Frage, ob die Religion kontrolliert, politisch kapitalbringend, identitätsstiftend genutzt werden oder komplett aus den öffentlichen Leben (und wie und wo) verbannt werden soll. Gleichzeitig schätzen auch die Islamisten viele Aspekte des demokratischen Staates, über den sie gerade die Wählerbasis, die sie über Jahrzehnte hinweg über Graswurzelarbeit geschaffen haben, verwaltet werden kann. Dann muss man auch noch irgendwie das Verhältnis Beider zum Nationalismus mit hineinbringen. Man sieht schon, worauf das Ganze hinausläuft, und ich kann das Puzzle selbst nicht zusammensetzen, aber verweise mal auf den Artikel des britischen Journalisten William Armstrong, den ich in Istanbul kennengelernt habe, der das Verhältnis zwischen Islam und Nationalismus thematisiert.
Jedenfalls habe ich das in meinem neuen Atlantic Community-Artikel folgendermaßen formuliert:
Demokratie, Säkularismus und Islam in der Türkei sind eine Puzzlearbeit, in der man mit Identität, Ideologie und praktischer Politik hantieren muss. Das Wiedererstarken des politischen Islams in der Türkei fällt jedenfalls mit einer Transformation des politischen Establishments mit den folgenden Resultaten zusammen: Missachtung der Herrschaft des Rechts, autoritäre Tendenzen und abenteuerliche außenpolitische Aktivitäten. Die Herausforderung für die türkische Demokratie ist weniger die Religion (die man eher als eine Art "label" sehen sollte) gegen den säkularen Staat als der immense Machthunger der regierenden AKP.
Mein neues Erklärungsmodel ist nun der Januskopf. Dieses Bild soll das Verhältnis sowohl der ideologischen, als auch der äußerst pragmatischen Aspekte der türkischen Regierung plastisch darstellen.
P.S.: Ich möchte betonen, dass ich mich nicht als Experten sehen möchte. Ein Experte beherrscht die Landessprache, mein Türkisch ist nur rudimentär vorhanden. Dennoch habe ich viel Austausch mit Journalisten, Akademikern und sonstigen in politische Aktivitäten involvierten Leuten gehabt und meine daher einen guten Einblick zu haben.
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