Kefaya Punk (23) ist Blogger und politischer Aktivist. Er hat im Sommer 2008 an einer Privatuniversität in Massenmedien und Kommunikation – im Hauptfach Radio und Fernsehen seinen Abschluss gemacht. Auf seinem Blog Kefaya Code schreibt Punk über Linguistik und Politik. Seine Facebook-Kampagnen und religionskritischen Ansichten haben ihn schon öfters ins Visier von Extremisten gebracht, die ihn ruhig stellen wollen. Daneben ist er mit dem Aufbau einer NGO beschäftigt, die über Verschiedenheit, Akzeptanz von Unterschieden und Toleranz arbeiten will.
Punk ist ein enger Freund von Maikel Nabil Sanad, der schon hier interviewt wurde. Er erzählt über seine politischen Aktivitäten und berichtet das Neueste über Maikel.
Lass uns mal eine kleine Runde machen um deine Gedanken einzufangen, die deinen Aktivismus charakterisieren: Was denkst du über Säkularismus, Demokratie, Religion und über Israel?
Säkularismus ist die einzige Alternative zu Bürgerkrieg und Ungleichheit infolge von religiöser Intoleranz. Säkulare Staatlichkeit einzig kann es den Menschen ermöglichen als Bürger gleich behandelt zu werden, unabhängig von ihrem religiösen Glauben.
Demokratie sichert gegen Übergriffe von Staat und Politikern ab und gibt den Menschen die Möglichkeit Gutes für eine Gesellschaft zu tun.
Religion sollte Privatsache sein und nicht für politische Ziele oder Überlegenheitsansprüche missbraucht werden. Religiösität darf nicht das logische und vernünftige Denken der Menschen verhindern. In der ägyptischen Gesellschaft haben wir das Problem, dass einige Menschen wissenschaftliche und logische Erkenntnisse verwerfen, wenn sie denken diese sind nicht mit ihrem Glauben vereinbar. Auf jeden Fall darf die Religion nicht in unserer ID-Karte vermerkt werden, denn das gibt Rassisten die Möglichkeit gezielt andere Religionen zu erkennen und Gewalt gegen sie anzuwenden. Das zeigt schon, wie der Staat in die individuelle Glaubensfreiheit eingreift und Sektierertum befördert.
„Religiösität darf nicht das logische und vernünftige Denken der Menschen verhindern.“
Ägypten hat eine Tradition von nasseristischem arabisch-nationalistischem Hass auf Israel und Juden, der Bahn gebrochen hat seit Ägypten von den Militärs beim Putsch 1952 überworfen wurde. Die militaristischen „Freien Offiziere“ haben eine Erklärung verfasst, die von Anwar as-Sadat im Radio präsentiert wurde, in der sie von einer Niederlage in Palästina [im Jahre 1948, Israels Sieg im Unabhängigkeitskrieg] sprechen. Worin der Zusammenhang besteht zwischen Palästina und der angeblichen ägyptischen Revolution im Jahre 1952? Das ägyptische Militär nutzt die Palästina-Frage nur aus politischem Kalkül um eigene Verbrechen zu legitimieren.
Warum hören wir denn niemanden aufschreien, wenn es um die illegitimen und blutigen Eroberungskriege der Saud-Familie geht, um z.B. das Königreich Hijaz? Die arabischen Nationalisten haben nicht über Geschichte nachgedacht, sondern sind ihren Autoritäten wie eine Herde gefolgt. Wussten sie, dass das Land im Raum Palästina schon von den Ägyptern, Kanaaniten, Israeliten, Assyrern, Babyloniern, Griechen, Römern und den Byzantinern vor den Muslimen kontrolliert wurde? In jüngster Geschichte wurde das Land von den islamischen Osmanen und dann von den Briten kontrolliert. Nach dem Abzug der Briten haben die Zionisten dort ihr Heimatland aufgebaut. Wo liegt das Problem?
Das Problem liegt an der Scheinheiligkeit der arabischen Nationalisten, wenn es um Geschichte geht und Religion involviert ist. Nach deren anti-israelischer Logik haben Juden kein Recht Herrschaft in einem arabischen/islamischen Land auszuüben.
Ich mag eine Stelle in dem Lied „Don´t Feel Like Dancing“ von den Scissor Sisters, in der es heißt „Cities come and cities go just like the old empires“ – die haben es richtig verstanden.
… du willst noch mehr über arabischen Nationalismus erzählen?
Wie sehr es die arabischen Nationalisten auch immer abstreiten, dass Islam mir ihrer Ideologie zu tun hat, es ist alles offensichtlich geworden in der Geschichte. Gamal Abdel Nasser hatte eine Theorie von „Drei Zirkeln“, in der die ägyptische Revolution angeblich stattfindet: die arabische Welt, Afrika und die islamische Welt.
„Das ist ein imperialistisches Projekt gewesen, nicht anders als der angebliche Imperialismus, den die Islamisten vorgeben zu bekämpfen.“
Was die frühen islamischen Eroberer am Anfang der Ausbreitung des Islams gemacht haben war neben der islamischen Kultur vor allem die „Sprache des heiligen Buches“ zu verbreiten. Nachdem die islamische Kultur schon sehr weit verbreitet wurde musste zwar nicht jeder in den eroberten Gebieten zum Islam konvertieren, aber sie mussten trotzdem die islamische Sprache lernen und sprechen (es ist korrekter das geschriebene Arabisch die Islamische Sprache zu nennen, denn ihre Regeln basieren auf einer Konstruktion aus der Sprache des Koran, und der Koran ist das heilige Buch des Islam). Das ist ein imperialistisches Projekt gewesen, nicht anders als der angebliche Imperialismus, den die Islamisten vorgeben zu bekämpfen. Es gibt eine bizarre Vorstellung davon, dass alle Völker in Nordafrika und im Nahen Osten eigentlich dieselbe Sprache sprechen. Das geht sogar so weit, dass behauptet wird, wir sprechen alle korrumpierte Akzente der einzig richtigen arabischen Sprache – die natürlich die vollkommenste ist. Die arabischen Nationalisten behaupten, dass die Völker Nordafrikas und des Nahen Ostens gemeinsame Wurzeln haben, die Sprache und Religion beinhalten.
Arabismus ist eine quasi-säkulare Form von islamistischem Sektierertum.
Du nimmst auch pro-israelische Standpunkte ein wie Maikel. Wie kommt das in deinem Umfeld an im täglichen Leben bei den politischen Umständen?
Die meisten meiner Freunde stimmen mit mir überein, dass wir das Recht Israels auf friedliche Koexistenz anerkennen sollten. Es ist schwer für uns unsere Gedanken über Israel zu äußern und es gibt keinen Raum in arabischsprachigen Medien dafür. Die arabischen Medien sprechen niemals über Frieden mit Israel. Wie du gemerkt hast bin ich nur im Internet aktiv. Ich benutze ein Pseudonym, um mich vor Verfolgung und Verurteilung zu schützen.
Nach den Aufständen dachte ich es gibt keinen Grund mehr meinen Namen zu verbergen, aber da habe ich mich wohl getäuscht, besonders nachdem Maikel inhaftiert wurde! Ich nenne es übrigens nur „Aufstände“ und nicht „Revolution“, denn eine Revolution trifft das herrschende Regime und die Verfassung – unser Regime allerdings existiert weiter und nutzt die alte Verfassung. Das hat sich seit 1952 nicht geändert, die autoritäre Herrschaft ist geblieben.
Wie ist deine Beziehung zu Maikel? Wie gut kennst du ihn?
Ich kenne Maikel seit drei Jahren über seine Internetaktivitäten und seine berühmte Kampagne „Nein zum verpflichtenden Militärdienst“ [No For Compulsory Military Service]. Aber ich kannte ihn nur über Facebook. Vor etwas weniger als einem Jahr ist er auf meine Beiträge auf seiner Pinnwand bei Facebook aufmerksam geworden und hat mich kontaktiert. Nachdem wir viel miteinander geschrieben haben, trafen wir uns auch irgendwann persönlich.
Maikel ist mittlerweile ein Freund, dem ich am meisten vertraue. Wir stimmen in fast allem überein. Er ist einer, der nach den Prinzipien, an die er glaubt, auch handelt. Das ist sehr wichtig für mich, damit ich den Leuten glauben kann, dass sie es ernst meinen. Ich habe schon Leute getroffen, die sich als soziale oder politische Aktivisten mit liberaler Einstellung gesehen haben, aber niemals nach diesen Prinzipien handeln. Ich tausche mich immer wieder mit Maikel aus, unsere Ideen und Vorstellungen. Seine Meinungen über die jüngsten Ereignisse sind wichtig für mich und bringen Licht ins Dunkel von Sachen, die ich manchmal nicht verstehe.
„Maikel hat verstanden, dass kein äußerer Feind, Israel, uns unserer Freiheit in Ägypten beraubt, wie es uns die Regimepropaganda eintrichtern will, sondern das Militärregime in Ägypten.“
Seit den Anfängen der größten Demonstrationen am 25. Januar hatte ich Angst aus dem Haus zu gehen, besonders nachdem das Internet und Handyverbindungen abgeschnitten wurden. Im Fernsehen sah ich, wie grausam das Regime auf die friedlichen Demonstranten reagierte. Einige meiner Freunde wurden inhaftiert und gefoltert, Freunde von Freunden starben in den Demonstrationszügen. Maikel hat mich letztlich davon überzeugt, dass wir Liberale an den Demonstrationen teilnehmen und uns zeigen müssen. Einen Tag oder so vor dem 1. Februar hat er mich auf dem Handy angerufen, nachdem die Verbindung teilweise wiederhergestellt war, und mir von einem Millionenaufmarsch erzählt, zu dem ich ihn unbedingt begleiten muss. Es war das erste Mal, dass ich an einer Demonstration teilgenommen habe, an diesem historischen Tag!
Maikel ist sehr intelligent und hat Erfahrung mit der ägyptischen Politik, überhaupt wie die Diktatoren in der Region es geschafft haben sich an die Macht zu bringen und dort zu halten. Er hat verstanden, dass kein äußerer Feind, Israel, uns unserer Freiheit in Ägypten beraubt, wie es uns die Regimepropaganda eintrichtern will, sondern das Militärregime in Ägypten. Aus diesem Grund ist Maikel Antimilitarist, denn militaristische Regimes sind gegen Freiheit und Demokratie. Sie unterdrücken ihre Gesellschaften mit einem verpflichtenden Militärdienst, der in Ägypten bis zu drei Jahren dauern kann, in dem es keine Rechte gibt und extrem schlechte Bedingungen, was Essen und medizinische Behandlung angeht. Wenn man den Militärdienst nicht geleistet hat, darf man als Ägypter nicht ausreisen. Arbeiten kann man auch nicht und wird kaum bezahlt. Es ist ein Weg den Eingriff des Staates in individuelle Rechte und Freiheiten zu legitimieren.
„Das Regime erlaubt es niemanden irgendwas zu sagen, schreiben oder künstlerisch darzustellen, das Israel, die Israelis oder Juden in einem guten Licht erscheinen lassen könnte.“
Das Militärregime in Ägypten verhindert es, dass die Menschen Sympathie äußern oder zumindest Israels Recht auf Frieden ausdrücken können. Das Regime zerstört die Reputation eines jeden, der das dennoch versucht, durch Propaganda oder verhindert, dass sie sich in den Medien irgendwo verteidigen könnten. Es gibt keine freien, unabhängigen Medien in Ägypten. Keine unserer Informationsquellen darf kritisch gegenüber der militaristischen Ideologie sein, sonst würden sie nicht in Ägypten arbeiten oder sie würde vor ein unfaires Militärgericht gestellt werden, so wie Maikel. Das Regime erlaubt es niemanden irgendwas zu sagen, schreiben oder künstlerisch darzustellen, das Israel, die Israelis oder Juden in einem guten Licht erscheinen lassen könnte.
Weil Maikel wusste wo die Probleme der Politik in Ägypten wurzeln war er eine Bedrohung und eine Herausforderung für das Regime, das sich an der Macht halten will. Auch durch die Lüge, dass sie die einzige Alternative zu den Taliban-ähnlichen Extremisten sind, mit denen sie nicht überraschenderweise geheime Deals gemacht haben. Aus diesem Grund hat die auf Abschreckung bedachte Militärregierung ihn inhaftiert und für drei Jahre im Gefängnis verurteilt. Es ist ein Fingerzeig an all diejenigen, die es wagen die Militaristen zu hinterfragen oder Licht zu werfen auf ihre Verbrechen, Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Islamischen Fundamentalismus und ihre herausragende Rolle für die „Revolution“ und die „Revolutionäre“ 2011.
In einem Artikel der Jerusalem Post wurdest du jüngst zitiert: „Im Gegensatz zu dem, was die meisten Leute denken, dass Maikels Inhaftierung nichts mit seinem letzten Artikel über Israel zu tun hat, glaube ich, dass das ein vorgeschobener Grund für seine Inhaftierung war“. Bitte erzähl über seine Inhaftierung und was der derzeitige Stand der Dinge ist.
Ich versuche das mal zusammenzufassen seit seiner Festnahme am 28. März, als am Abend die Militärpolizei gekommen ist. Maikel hat es geschafft seinen Bruder unbemerkt von dem Handy eines Rekruten aus zu erreichen und hat ihm erzählt, dass er festgenommen wurde. Aus diesem Grund wussten wir überhaupt davon. Maikel wurde dann vor ein Militärgericht gebracht. Das Gericht hat versucht die Anwälte an der Nase rumzuführen. Sie haben gesagt, der Prozess fände gar nicht am 29. März statt, also sind alle nach Hause gegangen, bis auf einen. Maikels Vater hat es geschafft in den Gerichtssaal zu kommen, um herauszufinden, was mit seinem Sohn passiert. Er wusste, dass Maikel gleichzeitig mit 50 Anderen angeklagt wird, ein schneller Prozess ohne Chance auf Verteidigung. Das Urteil wurde immer wieder verschoben. Sein Anwalt war beim einberufenen Tag der Urteilssprechung, dem 10. April, anwesend, aber die Verteidigung, Familie und Freunde wurden schon wieder hereingelegt, dass das Urteil ohne Grund wieder auf übermorgen verschoben werden sollte! Einen Tag später war sein Anwalt geschockt als er erfahren hat, dass Maikel zwei Stunden nachdem er den Gerichtssaal verlassen hatte zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde ohne einen Anwalt, der ihn hätte verteidigen können!
Das Regime führt eine Propagandaschlacht gegen Maikel und versuchen ihn als israelischen Agenten und Verräter hinzustellen, weil er ein Video im Internet veröffentlicht hat, in dem er die Israelis um Solidarität mit der ägyptischen Revolution aufruft und die Israelis seine „Freunde“ nennt.