Montag, 2. April 2012

Der türkische Januskopf



In meinen früheren Beiträgen habe ich eine sehr simplifizierende These vertreten, in der ich Säkularismus und Islam in der Türkei unberechtigterweise als Antagonismen gegenübergestellt habe. Das machen Autoren im Middle East Forum auch und ich zu meiner Verteidigung würde ich Folgendes sagen: ich habe nie behauptet, dass ich Türkeiexperte bin. Meine Initiative schließt an die Vorgänge rund um die Gaza-Flotilla an, im Zuge derer  gewisse Verbindungen der türkischen Regierung zu Hamas-nahen IHH (eine islamistische "Hilfsorganisation" aus der Türkei) offensichtlich geworden und Premierminister Recep Tayyip Erdogan mit offensiver antiisraelischer Rheorik aufgeboten hat. Wenn in der MENA-Region ein machthungriger großer Anführer ins Horn zur Attacke gegen Israel bläst und damit die arabische Welt hinter sich bringen will, müssen sämtliche Alarmglocken klingeln. Der ideologische Hintergrund von Islamismus und Israelfeindschaft ist in der Rhetorik von Erdogan nur allzu offensichtlich und vorher hatte die Türkei lange Zeit hervorragende Beziehungen zu Israel. Das Erklärungsmodel liegt also zunächst erstmal auf der Hand und die Beobachtungen, die ich gemacht habe, sehe ich nach wie vor als valide an.


 Bildnis eines Januskopfs

Nichtsdestotrotz kann man Säkulare (was im türkischen mit "laik" bezeichnet wird und nicht ganz dasselbe meint) und Religiöse nicht einfach gegenüberstellen. Es gibt viele Unterströmungen des republikanischen Kemalismus rund um die Frage, ob die Religion kontrolliert, politisch kapitalbringend, identitätsstiftend genutzt werden oder komplett aus den öffentlichen Leben (und wie und wo) verbannt werden soll. Gleichzeitig schätzen auch die Islamisten viele Aspekte des demokratischen Staates, über den sie gerade die Wählerbasis, die sie über Jahrzehnte hinweg über Graswurzelarbeit geschaffen haben, verwaltet werden kann. Dann muss man auch noch irgendwie das Verhältnis Beider zum Nationalismus mit hineinbringen. Man sieht schon, worauf das Ganze hinausläuft, und ich kann das Puzzle selbst nicht zusammensetzen, aber verweise mal auf den Artikel des britischen Journalisten William Armstrong, den ich in Istanbul kennengelernt habe, der das Verhältnis zwischen Islam und Nationalismus thematisiert.

Jedenfalls habe ich das in meinem neuen Atlantic Community-Artikel folgendermaßen formuliert:

Demokratie, Säkularismus und Islam in der Türkei sind eine Puzzlearbeit, in der man mit Identität, Ideologie und praktischer Politik hantieren muss. Das Wiedererstarken des politischen Islams in der Türkei fällt jedenfalls mit einer Transformation des politischen Establishments mit den folgenden Resultaten zusammen: Missachtung der Herrschaft des Rechts, autoritäre Tendenzen und abenteuerliche außenpolitische Aktivitäten. Die Herausforderung für die türkische Demokratie ist weniger die Religion (die man eher als eine Art "label" sehen sollte) gegen den säkularen Staat als der immense Machthunger der regierenden AKP.

Mein neues Erklärungsmodel ist nun der Januskopf. Dieses Bild soll das Verhältnis sowohl der ideologischen, als auch der äußerst pragmatischen Aspekte der türkischen Regierung plastisch darstellen.



P.S.: Ich möchte betonen, dass ich mich nicht als Experten sehen möchte. Ein Experte beherrscht die Landessprache, mein Türkisch ist nur rudimentär vorhanden. Dennoch habe ich viel Austausch mit Journalisten, Akademikern und sonstigen in politische Aktivitäten involvierten Leuten gehabt und meine daher einen guten Einblick zu haben.

Dienstag, 25. Oktober 2011

Memo Nr. 1: Kosher Nostra


Ein Versuch die Unordnung meiner Gedanken zu reflektieren.

Auf meinem Schreibtisch in Istanbul, Kadiköy, liegen Reader, Bücher, ich habe drei Browser offen mit Links die ich lesen will. Foucault, Nietzsche, Arendt, Freud, Marx, Adorno, Horkheimer, ich habe letztens das Buch „Natural Right and History“ von Leo Strauss fertiggelesen, davor „Traditionelle und Kritische Theorie“ von Max Horkheimer. Die „Negative Dialektik“ von Adorno will ich auch endlich verstehen. Nebenbei auch diejenigen lesen, auf die ein kritisches Licht geworfen wird. Die Liste ist endlos. In meiner PDF-Sammlung findet sich noch David Landes´ „The Wealth and Poverty of Nations“ über die Wirtschaftsgeschichte der letzten 600 Jahre. Außerdem muss ich für die Universität einen 800-Seiten Reader über makroökonomische Theorie lesen – nicht nur das, sondern auch eine Analyse über die türkische Ökonomie und den Zusammenhang mit Islamic Banking schreiben. Marx und Friedman, Adorno und Foucault, Psychoanalyse und Philipps-Kurve.

Den halben Tag lese ich internationale Berichterstattung und politische Analysen. Ab und zu mal kann ich mich durchringen ein paar Worte zu verlieren. Ein paar Texte über das iranische Atomprogramm und die türkische Außenpolitik, einmal analytisch für Atlantic Community, einmal polemisch-meinungsbezogen für „The Propagandist“. Mich beschäftigt besonders das Schicksal von Maikel Nabil Sanad, einem pro-israelischen ägyptischen Blogger, der seit nunmehr 59 Tagen im Hungerstreik ist und nun in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde.

Vor meinem geistigen Auge schwirren makroökonomische Daten, Graphen, philosophische Argumente, endlos erscheinendes Textgewirr und die rauch- und alkoholdurchtränkten Erinnerungen an die zahllosen durchgefeierten Nächte in dieser pulsierenden Stadt umher. Kennt ihr das, wenn ihr so schöne Musik hört, dass die Augen anfangen zu tränen, Erinnerungen an schöne Zeiten kommen und das Herz ausgelassen tanzt? In diesem Moment durchströmt mich gerade dieses Gefühl, seit ich das Album „Kosher Nostra Jewish Gangsters Greatest Hits“ von Shantel und Oz Almog eingelegt habe.

In gerade diesem Moment, als ich das erste Lied von diesem Album angehört habe, verspürte ich den Drang etwas zu schreiben. Ich habe lange nichts mehr geschrieben für diesen Blog. Ich hab mich gefragt warum. Mir erscheint so vieles, was in letzter Zeit passiert ist, zu absurd, als das darüber Worte zu verlieren wären – es irgendwie versuchen zu rationalisieren, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Es ist wahrscheinlich so eine Phase, in der man nach der eigenen geistigen Unschuld sucht.

Mir ist gerade nicht danach, irgendwelche politischen Botschaften zu vermitteln, außer vielleicht die Forderung nach der Freiheit für Maikel Nabil Sanad! Ich glaube das Beste, was gerade irgendwie aus meinem rastlosen Tun wert ist nach außen zu teilen, ist das angesprochene Album.

Montag, 2. Mai 2011

Keep Up The Fight, America

Jonathon Narvey vom Propagandist-Magazine hat die Tötung von Osama bin Laden einen "bedeutenden Sieg im Kampf gegen den globalen Dschihad" genannt. Es ist tatsächlich eine wichtige Maßnahme gegenterroristischer Strategien die ideologischen Vorbilder und -kämpfer zu töten. Allerdings sollten wir nicht die ausführend-operationelle Bedeutung von den Köpfen von Al-Qaida und modernen terroristischen Organisationen überschätzen.

Den Begriff "Al-Qaida" bedeutet nicht nur "Operationsbasis" oder "Fundament", sondern auch "Anleitung" oder "Methode". Diese Organisation hat sich seit 9/11 sehr stark von einer monolithisch-strukturieren Terrororganisation mit identifizierbaren Führungskörper und Befehlskette in ein amorphes Gebilde von vertikal-geführten, hochideologisierten, teilautonomen Kleingruppen (Bruce Hoffman hat das treffend ein "Franchise-Unternehmen" genannt) transformiert.

Hoffman erinnert in "The National Interest" an Misserfolge des Westens die operationelle Struktur von terroristischen Netzwerken anzugreifen:

"2004 haben die Israelis der terroristischen Hamas einen schweren Schlag versetzt, vergleichbar mit Osama bin Laden und seinem Stellvertreter Ayman al-Zawahiri, als sie Sheik Ahmed Yassin, den Gründer und Anführer der Hamas, und einen Monat später Abdel Aziz Rantisi, seinen Stellvertreter und Nachfolger, getötet haben - die Hamas ist allerdings heute sehr viel stärker als vor sieben Jahren."


Das heißt nicht, dass damit kein wichtiges Ziel erreicht ist. Aber natürlich besteht die Möglichkeit, dass neue Osamas das Vakuum in der Führung des globalen Dschihad übernehmen (wie es der Bastard angekündigt hat für seinen Tod), die seinem Märtyrertod huldigen und die Legende seines Meisterstücks im schlechtesten Sinne - 9/11 - weiterführen wollen. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus (genauer: Terroristen, denn eine Taktik kann man nicht bekämpfen) muss entschlossen weitergeführt werden.

Dieser Kampf muss sich allerdings gegen die effektivsten strategischen Punkte des internationalen Terrorismus richten - das sind staatlich geförderte Terroraktivitäten. Terrorzellen können sich dann am besten verstärken und aufbauen, wenn ihrer operationelle Basis für Trainingsmöglichkeiten und Rekrutierung von Staaten gefördert (oder von schwachen Staaten nicht verhindert) werden. Das ist für das Bestehen und Operieren von Terrorgruppen wichtiger als die hierarchiche Führungsskette - in diesem Sinne ist der Schlange nicht der Kopf abgeschlagen.

Terrorismus ist eine Taktik der psychologischen Kriegsführung, die zum Ziel hat die Unterstützung in Gesellschaften ihrer politischen Führung zu unterminieren und durch Angst und Misstrauen spalterische Tendenzen zu verstärken. Der Tod Osama bin Ladens sollte in dem Sinne eine Rückversicherung sein, dass der Krieg gegen die Feinde der Freiheit mit aller Entschlossenheit weitergeführt wird.


Hier mein Kommentar auf Englisch für "The Propagandist": Keep Up The Fight, America

Samstag, 30. April 2011

„Das Regime führt eine Propagandaschlacht gegen Maikel“

Kefaya Punk (23) ist Blogger und politischer Aktivist. Er hat im Sommer 2008 an einer Privatuniversität in Massenmedien und Kommunikation – im Hauptfach Radio und Fernsehen seinen Abschluss gemacht. Auf seinem Blog Kefaya Code schreibt Punk über Linguistik und Politik. Seine Facebook-Kampagnen und religionskritischen Ansichten haben ihn schon öfters ins Visier von Extremisten gebracht, die ihn ruhig stellen wollen. Daneben ist er mit dem Aufbau einer NGO beschäftigt, die über Verschiedenheit, Akzeptanz von Unterschieden und Toleranz arbeiten will.

Punk ist ein enger Freund von Maikel Nabil Sanad, der schon hier interviewt wurde. Er erzählt über seine politischen Aktivitäten und berichtet das Neueste über Maikel.

Lass uns mal eine kleine Runde machen um deine Gedanken einzufangen, die deinen Aktivismus charakterisieren: Was denkst du über Säkularismus, Demokratie, Religion und über Israel?

Säkularismus ist die einzige Alternative zu Bürgerkrieg und Ungleichheit infolge von religiöser Intoleranz. Säkulare Staatlichkeit einzig kann es den Menschen ermöglichen als Bürger gleich behandelt zu werden, unabhängig von ihrem religiösen Glauben.

Demokratie sichert gegen Übergriffe von Staat und Politikern ab und gibt den Menschen die Möglichkeit Gutes für eine Gesellschaft zu tun.

Religion sollte Privatsache sein und nicht für politische Ziele oder Überlegenheitsansprüche missbraucht werden. Religiösität darf nicht das logische und vernünftige Denken der Menschen verhindern. In der ägyptischen Gesellschaft haben wir das Problem, dass einige Menschen wissenschaftliche und logische Erkenntnisse verwerfen, wenn sie denken diese sind nicht mit ihrem Glauben vereinbar. Auf jeden Fall darf die Religion nicht in unserer ID-Karte vermerkt werden, denn das gibt Rassisten die Möglichkeit gezielt andere Religionen zu erkennen und Gewalt gegen sie anzuwenden. Das zeigt schon, wie der Staat in die individuelle Glaubensfreiheit eingreift und Sektierertum befördert.

„Religiösität darf nicht das logische und vernünftige Denken der Menschen verhindern.“

Ägypten hat eine Tradition von nasseristischem arabisch-nationalistischem Hass auf Israel und Juden, der Bahn gebrochen hat seit Ägypten von den Militärs beim Putsch 1952 überworfen wurde. Die militaristischen „Freien Offiziere“ haben eine Erklärung verfasst, die von Anwar as-Sadat im Radio präsentiert wurde, in der sie von einer Niederlage in Palästina [im Jahre 1948, Israels Sieg im Unabhängigkeitskrieg] sprechen. Worin der Zusammenhang besteht zwischen Palästina und der angeblichen ägyptischen Revolution im Jahre 1952? Das ägyptische Militär nutzt die Palästina-Frage nur aus politischem Kalkül um eigene Verbrechen zu legitimieren.

Warum hören wir denn niemanden aufschreien, wenn es um die illegitimen und blutigen Eroberungskriege der Saud-Familie geht, um z.B. das Königreich Hijaz? Die arabischen Nationalisten haben nicht über Geschichte nachgedacht, sondern sind ihren Autoritäten wie eine Herde gefolgt. Wussten sie, dass das Land im Raum Palästina schon von den Ägyptern, Kanaaniten, Israeliten, Assyrern, Babyloniern, Griechen, Römern und den Byzantinern vor den Muslimen kontrolliert wurde? In jüngster Geschichte wurde das Land von den islamischen Osmanen und dann von den Briten kontrolliert. Nach dem Abzug der Briten haben die Zionisten dort ihr Heimatland aufgebaut. Wo liegt das Problem?

Das Problem liegt an der Scheinheiligkeit der arabischen Nationalisten, wenn es um Geschichte geht und Religion involviert ist. Nach deren anti-israelischer Logik haben Juden kein Recht Herrschaft in einem arabischen/islamischen Land auszuüben.

Ich mag eine Stelle in dem Lied „Don´t Feel Like Dancing“ von den Scissor Sisters, in der es heißt „Cities come and cities go just like the old empires“ – die haben es richtig verstanden. 

… du willst noch mehr über arabischen Nationalismus erzählen?

Wie sehr es die arabischen Nationalisten auch immer abstreiten, dass Islam mir ihrer Ideologie zu tun hat, es ist alles offensichtlich geworden in der Geschichte. Gamal Abdel Nasser hatte eine Theorie von „Drei Zirkeln“, in der die ägyptische Revolution angeblich stattfindet: die arabische Welt, Afrika und die islamische Welt.

„Das ist ein imperialistisches Projekt gewesen, nicht anders als der angebliche Imperialismus, den die Islamisten vorgeben zu bekämpfen.“

Was die frühen islamischen Eroberer am Anfang der Ausbreitung des Islams gemacht haben war neben der islamischen Kultur vor allem die „Sprache des heiligen Buches“ zu verbreiten. Nachdem die islamische Kultur schon sehr weit verbreitet wurde musste zwar nicht jeder in den eroberten Gebieten zum Islam konvertieren, aber sie mussten trotzdem die islamische Sprache lernen und sprechen (es ist korrekter das geschriebene Arabisch die Islamische Sprache zu nennen, denn ihre Regeln basieren auf einer Konstruktion aus der Sprache des Koran, und der Koran ist das heilige Buch des Islam). Das ist ein imperialistisches Projekt gewesen, nicht anders als der angebliche Imperialismus, den die Islamisten vorgeben zu bekämpfen. Es gibt eine bizarre Vorstellung davon, dass alle Völker in Nordafrika und im Nahen Osten eigentlich dieselbe Sprache sprechen. Das geht sogar so weit, dass behauptet wird, wir sprechen alle korrumpierte Akzente der einzig richtigen arabischen Sprache – die natürlich die vollkommenste ist. Die arabischen Nationalisten behaupten, dass die Völker Nordafrikas und des Nahen Ostens gemeinsame Wurzeln haben, die Sprache und Religion beinhalten.

Arabismus ist eine quasi-säkulare Form von islamistischem Sektierertum.

Du nimmst auch pro-israelische Standpunkte ein wie Maikel. Wie kommt das in deinem Umfeld an im täglichen Leben bei den politischen Umständen?

Die meisten meiner Freunde stimmen mit mir überein, dass wir das Recht Israels auf friedliche Koexistenz anerkennen sollten. Es ist schwer für uns unsere Gedanken über Israel zu äußern und es gibt keinen Raum in arabischsprachigen Medien dafür. Die arabischen Medien sprechen niemals über Frieden mit Israel. Wie du gemerkt hast bin ich nur im Internet aktiv. Ich benutze ein Pseudonym, um mich vor Verfolgung und Verurteilung zu schützen.

Nach den Aufständen dachte ich es gibt keinen Grund mehr meinen Namen zu verbergen, aber da habe ich mich wohl getäuscht, besonders nachdem Maikel inhaftiert wurde! Ich nenne es übrigens nur „Aufstände“ und nicht „Revolution“, denn eine Revolution trifft das herrschende Regime und die Verfassung – unser Regime allerdings existiert weiter und nutzt die alte Verfassung. Das hat sich seit 1952 nicht geändert, die autoritäre Herrschaft ist geblieben.

Wie ist deine Beziehung zu Maikel? Wie gut kennst du ihn? 

Ich kenne Maikel seit drei Jahren über seine Internetaktivitäten und seine berühmte Kampagne „Nein zum verpflichtenden Militärdienst“ [No For Compulsory Military Service]. Aber ich kannte ihn nur über Facebook. Vor etwas weniger als einem Jahr ist er auf meine Beiträge auf seiner Pinnwand bei Facebook aufmerksam geworden und hat mich kontaktiert. Nachdem wir viel miteinander geschrieben haben, trafen wir uns auch irgendwann persönlich.

Maikel ist mittlerweile ein Freund, dem ich am meisten vertraue. Wir stimmen in fast allem überein. Er ist einer, der nach den Prinzipien, an die er glaubt, auch handelt. Das ist sehr wichtig für mich, damit ich den Leuten glauben kann, dass sie es ernst meinen. Ich habe schon Leute getroffen, die sich als soziale oder politische Aktivisten mit liberaler Einstellung gesehen haben, aber niemals nach diesen Prinzipien handeln. Ich tausche mich immer wieder mit Maikel aus, unsere Ideen und Vorstellungen. Seine Meinungen über die jüngsten Ereignisse sind wichtig für mich und bringen Licht ins Dunkel von Sachen, die ich manchmal nicht verstehe.

„Maikel hat verstanden, dass kein äußerer Feind, Israel, uns unserer Freiheit in Ägypten beraubt, wie es uns die Regimepropaganda eintrichtern will, sondern das Militärregime in Ägypten.“

Seit den Anfängen der größten Demonstrationen am 25. Januar hatte ich Angst aus dem Haus zu gehen, besonders nachdem das Internet und Handyverbindungen abgeschnitten wurden. Im Fernsehen sah ich, wie grausam das Regime auf die friedlichen Demonstranten reagierte. Einige meiner Freunde wurden inhaftiert und gefoltert, Freunde von Freunden starben in den Demonstrationszügen. Maikel hat mich letztlich davon überzeugt, dass wir Liberale an den Demonstrationen teilnehmen und uns zeigen müssen. Einen Tag oder so vor dem 1. Februar hat er mich auf dem Handy angerufen, nachdem die Verbindung teilweise wiederhergestellt war, und mir von einem Millionenaufmarsch erzählt, zu dem ich ihn unbedingt begleiten muss. Es war das erste Mal, dass ich an einer Demonstration teilgenommen habe, an diesem historischen Tag!

Maikel ist sehr intelligent und hat Erfahrung mit der ägyptischen Politik, überhaupt wie die Diktatoren in der Region es geschafft haben sich an die Macht zu bringen und dort zu halten. Er hat verstanden, dass kein äußerer Feind, Israel, uns unserer Freiheit in Ägypten beraubt, wie es uns die Regimepropaganda eintrichtern will, sondern das Militärregime in Ägypten. Aus diesem Grund ist Maikel Antimilitarist, denn militaristische Regimes sind gegen Freiheit und Demokratie. Sie unterdrücken ihre Gesellschaften mit einem verpflichtenden Militärdienst, der in Ägypten bis zu drei Jahren dauern kann, in dem es keine Rechte gibt und extrem schlechte Bedingungen, was Essen und medizinische Behandlung angeht. Wenn man den Militärdienst nicht geleistet hat, darf man als Ägypter nicht ausreisen. Arbeiten kann man auch nicht und wird kaum bezahlt. Es ist ein Weg den Eingriff des Staates in individuelle Rechte und Freiheiten zu legitimieren.

„Das Regime erlaubt es niemanden irgendwas zu sagen, schreiben oder künstlerisch darzustellen, das Israel, die Israelis oder Juden in einem guten Licht erscheinen lassen könnte.“

Das Militärregime in Ägypten verhindert es, dass die Menschen Sympathie äußern oder zumindest Israels Recht auf Frieden ausdrücken können. Das Regime zerstört die Reputation eines jeden, der das dennoch versucht, durch Propaganda oder verhindert, dass sie sich in den Medien irgendwo verteidigen könnten. Es gibt keine freien, unabhängigen Medien in Ägypten. Keine unserer Informationsquellen darf kritisch gegenüber der militaristischen Ideologie sein, sonst würden sie nicht in Ägypten arbeiten oder sie würde vor ein unfaires Militärgericht gestellt werden, so wie Maikel. Das Regime erlaubt es niemanden irgendwas zu sagen, schreiben oder künstlerisch darzustellen, das Israel, die Israelis oder Juden in einem guten Licht erscheinen lassen könnte.

Weil Maikel wusste wo die Probleme der Politik in Ägypten wurzeln war er eine Bedrohung und eine Herausforderung für das Regime, das sich an der Macht halten will. Auch durch die Lüge, dass sie die einzige Alternative zu den Taliban-ähnlichen Extremisten sind, mit denen sie nicht überraschenderweise geheime Deals gemacht haben. Aus diesem Grund hat die auf Abschreckung bedachte Militärregierung ihn inhaftiert und für drei Jahre im Gefängnis verurteilt. Es ist ein Fingerzeig an all diejenigen, die es wagen die Militaristen zu hinterfragen oder Licht zu werfen auf ihre Verbrechen, Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Islamischen Fundamentalismus und ihre herausragende Rolle für die „Revolution“ und die „Revolutionäre“ 2011.

In einem Artikel der Jerusalem Post wurdest du jüngst zitiert: „Im Gegensatz zu dem, was die meisten Leute denken, dass Maikels Inhaftierung nichts mit seinem letzten Artikel über Israel zu tun hat, glaube ich, dass das ein vorgeschobener Grund für seine Inhaftierung war“. Bitte erzähl über seine Inhaftierung und was der derzeitige Stand der Dinge ist.

Ich versuche das mal zusammenzufassen seit seiner Festnahme am 28. März, als am Abend die Militärpolizei gekommen ist. Maikel hat es geschafft seinen Bruder unbemerkt von dem Handy eines Rekruten aus zu erreichen und hat ihm erzählt, dass er festgenommen wurde. Aus diesem Grund wussten wir überhaupt davon. Maikel wurde dann vor ein Militärgericht gebracht. Das Gericht hat versucht die Anwälte an der Nase rumzuführen. Sie haben gesagt, der Prozess fände gar nicht am 29. März statt, also sind alle nach Hause gegangen, bis auf einen. Maikels Vater hat es geschafft in den Gerichtssaal zu kommen, um herauszufinden, was mit seinem Sohn passiert. Er wusste, dass Maikel gleichzeitig mit 50 Anderen angeklagt wird, ein schneller Prozess ohne Chance auf Verteidigung. Das Urteil wurde immer wieder verschoben. Sein Anwalt war beim einberufenen Tag der Urteilssprechung, dem 10. April, anwesend, aber die Verteidigung, Familie und Freunde wurden schon wieder hereingelegt, dass das Urteil ohne Grund wieder auf übermorgen verschoben werden sollte! Einen Tag später war sein Anwalt geschockt als er erfahren hat, dass Maikel zwei Stunden nachdem er den Gerichtssaal verlassen hatte zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde ohne einen Anwalt, der ihn hätte verteidigen können!

Das Regime führt eine Propagandaschlacht gegen Maikel und versuchen ihn als israelischen Agenten und Verräter hinzustellen, weil er ein Video im Internet veröffentlicht hat, in dem er die Israelis um Solidarität mit der ägyptischen Revolution aufruft und die Israelis seine „Freunde“ nennt.

Freitag, 15. April 2011

Free Maikel Teil II

Mein Kommentar auf "The Propagandist".

For now, I just want to know how Maikel is at the moment and what he thinks. When will Maikel to be allowed to express himself freely and to be allowed to travel and visit his friends outside Egypt?

Donnerstag, 14. April 2011

Free Maikel Nabil Sanad NOW!

 Diese Nachricht kommt als Schock:

Ein ägyptischer Blogger ist wegen seiner Kritik an der Armee des Landes zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Ein Militärgericht habe das Urteil gegen Maikel Nabil verhängt, sagte sein Anwalt Gamal Eid.

Die Leser dieses Blogs werden sich an das Interview mit dem ägyptischen, liberalen Aktivisten Maikel Nabil Sanad erinnern:




"Schon während der Fahrt schlug der Offizier in dem Jeep auf mich ein. Anschließend nahmen sie mich in das Geheimdienstbüro bei Rabaa El-Adawya in Nasr City. Dort schlugen sie mich weiter und haben mich sexuell schikaniert. Ich habe die die ganze Zeit Schreie von Menschen gehört, die gefoltert wurden. Es waren die schlimmsten Tage meines Lebens." (Maikel Nabil Sanad am 6. Februar 2011)


Muss unser Freund wieder solche Qualen durchstehen?

Der Autor kommt von einer langen Reise nach Israel und China, die Ereignisse sind daher in letzter Zeit unüberschaubar geworden. In welchen Strudel ist Maikel da geraten?

Hieß es vor wenigen Wochen noch, der Geist der Ereigniss auf dem Tahrir-Platz sei dahin, ein Bündnis aus altem Establishment, Muslimbrüdern und Militär habe jetzt das Heft in der Hand, ist die Lage seit den jüngsten Massendemons­trationen wieder im Fluss (siehe Seite 5). Erstmals richtete sich der Unmut der Protestierenden nun auch offen gegen den regierenden Militärrat, Forderungen nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi wurden laut, nachdem es immer wieder zu brutalen Übergriffen der Armee gekommen und erst kürzlich der bekannte Kriegsdienstverweigerer und Blogger Maikel Nabil Sanad verhaftet und wegen »Beleidigung der Armee« von einem Kriegsgericht verurteilt worden war.

 Jörg Lau fragt ob Ägypten auf dem Weg zu einer Militärdiktatur ist.


Der Autor ist um jeden aktuellen Hinweis zum Stand von Maikels Inhaftierung dankbar und fordert die sofortige Freilassung dieses großartigen Menschen und tapferen Kämpfer für Freiheit und Demokratie. Nur mit mehr Maikel Nabils und solchen, die seine Botschaften vernehmen, wird sich Ägypten aus den Klauen der Despotie und des islamistischen Wahns befreien können.

Free Maikel Nabil Sanad

Donnerstag, 17. Februar 2011

"Pity-trippers"

Dieser Artikel in The Australian ist so großartig, dass ich mich genötigt fühle ein paar Passagen zu übersetzen.

Das ist eher eine Sache des Mitleids, denn der Solidarität. Westliche junge Menschen aus der Mittelklasse machen palästinensische Mitleidsferien in der Westbank und in Gaza. Sie tauchen einfach auf und bewundern die Würde dieser schönen, belagerten Menschen, wie die Frauen viktorianischer Kolonialisten, die jene afrikanischen Stämme, die christianisiert werden sollten, irgendwie mochten. „Ich habe nie Menschen wie die Palästinenser getroffen. Das sind die stärksten Menschen, die ich je getroffen habe,“ schießt es aus der britischen Friedensaktivistin Kate Burton heraus, die Schlagzeilen gemacht hat, als sie im Jahre 2006 von einer palästinensischen Gruppe in Gaza entführt wurde.

Natürlich haben Westler immer moralische Abenteuer im Drüben geliebt, ob als Missionare oder als Revolutionäre. Der Unterschied zum palästinensischen Mitleidstourismus ist, dass sie weder die Palästinenser zu einer Religion bekehren wollen, noch zum Waffengang schreiten – vielmehr wollen sie einfach zum Mitfühlen kommen, sich hineinversetzen in die ultimative Erfahrung des Opferseins. Ein pity-tripper [der Ausdruck ist so gut, dass ich ihn so stehen lasse] hat im New Statesman über ihre Erfahrung geschrieben in Betlehem „unter Belagerung“ zu leben. „Ich beginne zu verstehen wie es sein muss ein Palästinenser zu sein“, sagte sie.

Das ist das letztendliche Ziele dieser Empathiefahrten, eine Erfahrung zu machen, die sie das Opfersein real werden lässt, dem sich diese westlichen Aktivisten verpflichtet fühlen. Wo einige gelangweilte westliche Jugendliche, die von ihren Alltag gelangweilt sind auf Bungee-Jumping Reisen nach Peru fahren, fühlen sich westliche Linke, die Politik zu Hause fühlen (?) genötigt auf Panzer-Stopper Reisen in Palästina zu gehen.